Die kroatische Polizei beobachtet eine Protestaktion gegen illegale Abschiebungen von Migrantinnen und Migranten ins Ausland (Archivbild, Juni 2021). Nun wird diese Praxis erneut zum Politikum.

Foto: AP Photo/Edo Zulic, File

Sie liegen mit dem Gesicht nach unten auf dem Waldboden, einigen wurden die Schuhe weggenommen. In der Whatsapp-Gruppe von 33 kroatischen Polizeikräften, der auch der Leiter der Grenzverwaltung angehörte, wurden aber nicht nur Fotos, Orte und persönliche Daten von insgesamt 1.337 Migranten und Migrantinnen geteilt, sondern auch die weitere Vorgangsweise besprochen. So wurde etwa beschlossen, dass 80 Pakistaner, die im Februar 2020 in Velika Gorica in der Nähe von Zagreb festgenommen wurden, in Lieferwagen zurück nach Bosnien-Herzegowina gebracht werden. Für die illegale Rückschiebung wurde die Anti-Terror-Einheit Lučko eingesetzt. Der Leiter der Grenzverwaltung schickte das Emoji "Klatschende Hände", um die Polizeiaktion zu loben.

Bisher hat die kroatische Polizei immer behauptet, es gebe keine illegalen Abschiebungen, obwohl zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien seit Jahren berichten, dass Migranten und Migrantinnen zum Teil sogar aus Slowenien zurück nach Kroatien und dann weiter nach Bosnien-Herzegowina geschickt werden.

An NGO zugespielt

Doch nun hat einer der beteiligten Beamten offenbar ausgepackt. 60 Screenshots von Whatsapp-Nachrichten, die zwischen August 2019 und Februar 2020 geschrieben wurden, wurden der NGO Lighthouse Reports zugespielt. Der ORF, der Spiegel und die kroatischen Medien Telegram, Nova TV und Novosti berichteten. Das Brisante: Es gibt nun polizeiinterne Beweise für die illegale Praxis. Denn die Grenzpolizei darf zwar Migranten und Migrantinnen direkt an der Grenze davon abhalten, illegal einzureisen. Doch ein "Abhalten vom Grenzübertritt" ist illegal, wenn die Migranten und Migrantinnen bereits weit im Inneren des Landes aufgefunden werden – wie im Fall der 80 Pakistaner.

Zudem dürfte gegen interne Vorschriften im Innenministerium verstoßen worden sein, weil Kommunikation zu operativem Vorgehen über eine Whatsapp-Gruppe namens "OA Korridor II-West" verlief. Denn eigentlich muss jede Kommunikation der Polizei über das Operative Kommunikationszentrum (OKS) erfolgen, in dem alle Vorgänge aufgezeichnet und Protokolle erstellt werden. Offenbar sollte aber genau dies umgangen werden, um die Polizeiaktionen zu vertuschen. Formlose Whatsapp-Nachrichten kann man schließlich auch löschen. Experten vermuten, dass im Innenministerium der Zeit- und Kostenaufwand, wie es das reguläre Vorgehen erfordert, vermieden werden sollte.

Innenminister Davor Božinović sagte zu den Vorwürfen, die "Operation Korridor" sei keine geheime Operation und werde seit fünf Jahren intensiv durchgeführt. Es gehe um Aktionen gegen Menschenschmuggler. Ohne ein solches Vorgehen hätte Kroatien nie dem Schengen-Raum beitreten können, was am 1. Jänner geschah. Der Minister meinte, dass sich die EU-Staaten einigen müssten, wie sie den Prozess der Einreise von Migranten und Migrantinnen regeln wollen. Das Benutzen von Whatsapp sei nicht illegal, "das ist operative Kommunikation". Das Innenministerium gab bekannt, dass es die Whatsapp-Gruppe seit drei Jahren nicht mehr gibt.

Gesetzeswidrige Pushbacks

Kritik kam hingegen von Ex-Innenminister Ranko Ostojić. Abschiebungen aus dem Landesinneren seien "nicht im Einklang mit dem Schengen-Kodex und den Gesetzen Kroatiens"; auch internationales Recht werde verletzt. Nicht nur diese Kettenabschiebungen, sondern auch massive Gewaltanwendung wurde beanstandet. Viele berichteten, dass sie von oftmals vermummten Polizisten verprügelt und ihnen Handys und Schuhe weggenommen worden seien.

Die EU-Ombudsfrau Emily O’Reilly stellte 2022 fest, dass die EU-Kommission seit 2018 die Rechte der Migranten und Migrantinnen an der kroatischen Grenze nicht sicherstelle, obschon die kroatischen Grenzoperationen auch von der EU finanziert seien. Sie forderte Kroatien auf, die berichteten Massenausweisungen und Misshandlungen zu untersuchen.

Trotzdem sprach man in Zagreb weiter von "Einzelfällen". Kroatien wurde von anderen EU-Staaten kaum kritisiert, wohl auch weil es im Interesse west- und mitteleuropäischer Regierungsvertreter – wie etwa jener in Österreich – liegt, wenn bulgarische, ungarische, serbische, rumänische und kroatische Beamte Migranten und Migrantinnen zurückschieben. In Bosnien-Herzegowina gibt es indes laute Kritik, weil Kroatien zurzeit wieder viele Migranten und Migrantinnen nach Bosnien-Herzegowina abschiebt. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 6.4.2023)